20 Jahre Werkstattschule- Wie alles begann

  5. November 2019  | 

Im Herbst feierten wir unseren 20. Schulgeburtstag. Wir befragten Frau Dietlind Hentschel über die Initiative zur Gründung einer Freien Schule und ihre Umsetzung. Das Interview wurde im Rahmen des Projektes „Rostock – Meine Geschichte“ aufgenommen. Wir drucken Auszüge ab.

 

R: Hallo Frau Hentschel, bitte stellen Sie sich doch einmal kurz vor.

Ja, ich heiße Dietlind Hentschel und habe die Freie Schule Rostock mitgegründet, die jetzt die Werkstattschule ist. Ich bin im Grunde seit Gründung des Vereins am 3. Oktober 1997 mit dabei. Ich habe einen Zeitungsartikel mitgebracht, welcher die Pressemitteilung enthält, dass der Verein Freie Schule Rostock e.V. die Genehmigung bekommen hat, mit dem Betrieb der Schule 1998 zu beginnen. Dies war schon ein besonderer Moment, als wir zum einen die Information vom Ministerium bekommen haben und zum anderen, dass wir es in der Presse nochmal schwarz auf weiß lesen konnten.

P: Wann trafen Sie den Entschluss, eine freie Schule zu gründen?

Ich habe selber in einer Schule gearbeitet (1988 bis 1998). Dort habe ich für mich gemerkt, was ich für mein Leben, für die Arbeit mit Kindern möchte und wie ich mir Schule vorstelle. Das ist nur begrenzt in der Schule, in der ich gearbeitet habe, eingetreten. 1992 habe ich angefangen anders in meiner Schule zu arbeiten.

A: Inwiefern anders?

Ich hatte zuvor normalen Frontalunterricht gemacht, da wir ja nichts anders gelernt haben während des Studiums.

Im Herbst 1991 nahm ich an einer Fortbildung teil und war total beeindruckt, weil dort zwei Lehrerinnen vorne standen, die in einer so überzeugenden Weise von ihrer neuen Arbeit gesprochen haben, dass ich gedacht habe, das will ich auch probieren. Ich habe daraufhin versucht, mit den Kindern anders zu arbeiten, was Zuspruch bei den Eltern fand. Dadurch war auch ganz viel Aufbruchsstimmung bei den Eltern. Das heißt, wir haben z.B. darüber diskutiert, ob Zensuren sinnvoll sind oder nicht. Das war eine wirklich beeindruckende Zeit, um zu sehen, was möglich war. Dann war das aber meinem damaligen Chef alles ein bisschen zu viel. Da stand für mich die Frage im Raum, ob ich so noch weiterarbeiten kann. Daraufhin hat mein damaliger Freund gesagt: „Probier’s doch selber.  Mach doch selber eine Schule.“ So habe ich beim Bundesverband der Alternativschulen angerufen und gefragt: „Wie gründet man denn eine Schule?“ Ein paar Wochen später riefen zwei Frauen bei mir an und meinten, sie wollen auch eine Schule gründen. Das war wohl im September 1997 und dann ganz plötzlich am 3. Oktober 1997 hatten wir gerade mal – so mit Ach und Krach -sieben Leute zusammen. Dann war ja auch die Frage, wie bezahlen wir das alles? Wir hatten ja gar kein Geld. Daraufhin haben wir bei gemeinnützigen Banken Kredite angenommen, für die wir persönlich gebürgt haben. Und dann ging es los: malern, Teppich verlegen, also wir hatten ja keinen Hausmeister und nix.

R: Also haben die sieben Leute alles selbst gemacht?

Nachher sind ein paar mehr dazugekommen. Da haben sich dann auch Eltern miteingebracht und es waren die Freunde und Partner der Vereinsmitglieder dabei. Es war auch ein paar Mal kurz davor, auseinanderzubrechen. Doch je größer es wurde, desto leichter wurden Dinge und auch wieder schwerer. Das Besondere, was man so im Rückblick sagen kann, ist, dass ich niemals gedacht hätte, dass wir jemals eine Schule mit 540 Schülern werden. Ich bin niemals davon ausgegangen, dass wir ein Abitur anbieten. Unser großer Wunsch war es vor allem, dass wir es irgendwie schaffen, dass die Schüler im Großen und Ganzen gern zur Schule gehen. Dass auch die Lehrer gern hierher zur Arbeit kommen. Und dass wir es schaffen, dass Kinder nicht gebrochen die Schule verlassen. Das – denke ich – haben wir geschafft.

A: Und als dieser Zeitungsartikel erschien, was war das dann für ein Gefühl?

Das war schon Freude, aber es war auch ganz viel Angst dabei, sich auf eine unbekannte Reise zu begeben. Bald war klar, dass ich nicht mehr in den öffentlichen Dienst zurückkehren würde. Trotzdem das alles so wirr und durcheinander war, eröffneten sich so viele Möglichkeiten nach dem Erscheinen des Artikels.

P: Haben Sie denn heute immer noch dieses Gefühl von Angst oder von Ungewissheit?

Es ist eher so ein Genießen. Ich vergesse selber ganz oft, dass wir das mit nur ein paar Leute gemacht haben. Es gab sehr viele Umbrüche, aber irgendwann kam der Punkt, wo es ins Rollen kam. Dadurch kommt so eine Ruhe und Sicherheit rein.
Es ist ganz oft so, dass ich selber ganz berührt bin. Denn ich erlebe ja hier als Grundschullehrerin eigentlich das größte Geschenk, was dir als Lehrerin passieren kann. Ich sehe, wie sich Kinder von der ersten bis zur zehnten oder zwölften Klasse entwickeln. Am Ende geht ja jedes Kind, jeder Jugendliche seinen Weg und jeder sucht sich dann das, wo er sich stark und sicher fühlt. Die Aufgabe von Eltern und auch von uns Lehrern ist, euch ins Leben zu schicken und euch zu helfen, dass der Rucksack, den ihr bei euch führt, gefüllt ist. Sodass ihr mit einem guten Selbstvertrauen auf die Reise gehen könnt. Und diese Sicherheit habe ich einfach.

 

Anne Vogler, Ronja Welke und Paul Schuhmann (12-2)