Quelle: Schülerzeitung Scopion Ausgabe 26
Hast du es bemerkt? Wir hatten Anfang November 5 Jugendliche zu Gast. Ein großes europäisches Projekt in Zusammenarbeit mit dem Grünen Grashalm e.V., ein Inclusionsprojekt. Sie lernten uns und unsere Schule kennen. Ein Inclusionsprojekt? Die fünf sind behindert – so sagen wir (und es klingt doch immer gefühllos), wenn jemand fast blind ist, wenn jemand nicht sprechen kann, wenn jemand seine Arme und/oder Beine nicht reibungslos bewegen kann.
Und so begrüßten wir, Emelie, Hilke & Hauke, Jakob, Julian, Tokan & Kilian und Tino die Fünf. Und wir waren ganz schön aufgeregt vor der Begegnung: Werden wir uns verstehen? Wie gehen wir miteinander um? Was machen wir? … Die sprechen ja auch noch russisch …
Und weißt du, wen wir trafen? Wir trafen auf Katja, die mit den Füßen schreibt und ergreifende Bilder malt, weil ihre Arme und Hände sich nicht „lenken“ lassen; wir trafen auf Daiana, die fast blind ist – sie spricht Englisch und war unsere Dolmetscherin, sie spielt Klavier und singt so ergreifend, dass man eine Gänsehaut bekommt; wir trafen auf Artjom, auch fast blind, der so geschickt Kartoffeln schält, dass man es nicht glauben kann, der Musik macht mit einem ungeahnten Einfühlungsvermögen – weil er hört wie ein Luchs; wir trafen auf Schenja, die nicht spricht und Pferde liebt, dass sie das junge Fohlen mit aller Kraft am Hals umarmt, dass es sich losreißen muss und sie nicht aufhören will zu reiten und mit dem ausgestreckten Arm nach vorne weisend „Da, da, da“ ruft; wir trafen auf Jana, deren Beine sich nur mit großer Mühe bewegen lassen und die auch nur mit großer Mühe sprechen kann – die aber immer alles allein machen wollte und Hilfe nur wenn es gar nicht ging in Anspruch nahm, die mutig auf dem Pferd ritt und sich mit aller Kraft festhielt und immer und überall mit strahlenden Augen sprach, dass wir alle gerne mit ihr zusammen waren.
Ich war beeindruckt von der Fröhlichkeit und Mentalität der Kinder. Die Stärke und Ausstrahlung war irgendwie mutmachend, kraftgebend … Verständigungsprobleme gab es schon, aber mithilfe von Alina und den anderen Dolmetschern ist man davon frei.“ (Hilke, 17 Jahre)
Wie haben wir uns also verständigt? Mit Englisch, mit Blicken, mit Händen, mit Füßen … und nach drei Tagen waren wir vertraut.
Sie haben sich bei uns sehr wohl gefühlt in der Schule, sehr wohl mit euch, ihr jungen, aufgeschlossenen und herzenswarmen Jugendlichen. Ein großer Dank an euch. Ein großer Dank an Katharina, die so einfühlsam den Kontakt zu den Pferden und das Reiten ermöglichte – der Kontakt zu diesen klugen und sensiblen Tieren ist heilsam für alle; Danke an Grit, die unsere Gäste snoezeln ließ – Artjom schnarchte, dass die Heide kracht …
Es war eine Woche und es war eine Begegnung von Jugendlichen, die miteinander etwas unternahmen, sich näherten, Vertrauen fassten. Jugendliche mit Beeinträchtigungen, ja. Aber hat nicht jeder von uns diverse Beeinträchtigungen? Ich zum Beispiel kann stur sein wie ein Esel, ich kann kein Englisch und ständig lasse ich irgendwo was liegen. Und ich mache das nicht mit Absicht :-). Manche sagen: Das ist nicht normal … Aber was ist normal? Ich glaube, das gibt es nicht. Da wo Menschen sind, sind Unterschiede. Und das ganze Leben ist ein großes Inclusionsprojekt. Oder was meinst du?
Tino Strempel