Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten: Anders sein – Außenseiter in der Geschichte

  13. Dezember 2015  | 

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Noch nie gab es so viele Teilnehmer*innen am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. Das wird am Thema liegen: „Anders sein – Außenseiter in der Geschichte“. Allein an unserer Schule traten 11 Teams bzw. 22 Schüler*innen auf den Plan. Die Schule schuf Freiräume, indem sie Unterrichtszeiten für Forschungsaktivitäten zur Verfügung stellte und einen mehrtägigen Workshop in Laage bei Rostock veranstaltete. Neben Zeit und Raum sprang dabei auch ganz viel fachliche Unterstützung und Inspiration heraus. Erfolgreich, wie wir nun sagen können: Die Werkstattschule wurde zum dritten Mal in Folge „Landesbeste Schule“ M-V im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten.

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Lisa, Luise und Valerie beim Erarbeiten des Wettbewerbsbeitrags

Ich bin glücklich mit dem Thema“, so Lisa. „Auch wenn es erst einmal so schrecklich klingt, worüber wir forschten: Kindesaussetzung mit tödlichen Folgen. Wenn man sich erst einmal länger mit einem (historischen) Phänomen auseinandersetzt, erkennt man auch seine Tiefe.“ Lisa, Luise und Valerie (alle 9/10) beschäftigten sich mit dem Schicksal der Elisabeth Dorothea Pollatz, die als Hausmädchen 1808 ihr heimlich geborenes Kind aussetzte und sich – im Laufe des gerichtlichen Verfahrens – selbst das Leben nahm. Die dicke Gerichtsakte in altdeutscher Handschrift las ihnen der Universitätsprofessor Ernst Münch vor. Beate Behrens betreute die Arbeit und motivierte unsere drei Mitschülerinnen, den Stoff auch künstlerisch zu verarbeiten. Daraus entstand – neben der fachwissenschaftlichen Darstellung – eine Buchcollage aus Wort, Scherenschnitt und Fotografie. „Der Scherenschnitt war damals modern und inspirierte uns“, so Luise. „Außerdem spielten wir mit der indirekten Rede, wie wir sie in der Gerichtsakte immer wieder lasen. Wir schrieben Akteninhalte in die direkte Rede und Ich-Form um, damit Elisabeth Pollatz endlich einen eigenen Ausdruck findet.“, ergänzt Valerie. Tatsächlich konnten die jungen Frauen im „Fall der Elisabeth Dorothea Pollatz“ so einiges erhellen. Die Landesjury prämierte diese Arbeit als „Landessiegerbeitrag M-V“.

Ebenso erfolgreich waren Linn und Lara (beide seinerzeit 10. Klasse), die sich mit einem besonderen Außenseiterthema beschäftigten, nämlich dem Leben von Homosexuellen im Norden der DDR. Sie führten Zeitzeugeninterviews und wälzten über 100-seitige STASI-Akten. Anstrengender als die Recherche war das Verarbeiten: Nicht jeder Außenseiter in der DDR war „nur“ Opfer der Gesellschaft; einige arrangierten sich mit der Staatsmacht. Die beiden haben das in einem Radiofeature verarbeitet und außerdem ihr Forschungstagebuch für den Wettbewerb eingereicht. Auch dieser Beitrag war der Jury nicht weniger als einen Landessieg wert. Herzlichen Glückwunsch!

Zwei Förderpreise gingen ebenfalls an die Werkstattschule. Maik und Till waren – zusammen mit ihrem Betreuer Tino Strempel – durch die Bundsrepublik gereist, um eine Zeitzeugin zu interviewen: eine ehemalige Punkerin aus Rostock, die heute in Koblenz lebt. Das war eine spannende Reise, denn die Zeitzeugin erwies sich als sehr gastfreundlich und redselig, andererseits aber hatte sie krasse Ansichten und forderte alle Geduld und Zurückhaltung … Zur Forschungsgruppe zählt auch Friederike, die es sich auch zur Aufgabe gemacht hatte, die Geschichte der Zeitzeugin filmisch zu verarbeiten.

Respekt auch vor der Arbeit von Paula (ehemals 12-2), die sich mit dem Thema Zwangsaussiedlungen aus der DDR in den 1950ern beschäftigte. Sie untersuchte die Geschichte der Familie Quandt aus Zarnewenz/Mecklenburg und reflektierte die Interviews in einer beeindruckenden digitalen Präsentation (Wir berichteten bereits im SCORPION 31).

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Jemima und Herr Strempel am Vorabend der Bundespreisverleihung in Berlin

Ich bin 15 Jahre alt und lebe schon mein ganzes Leben in Rostock. Trotzdem gibt es einen wichtigen Punkt, der mich von vielen anderen unterscheidet, und das ist meine Familiengeschichte“, beginnt Jemima ihre Arbeit. Die Familie kommt aus Sri Lanka., wo die Tamilen die größte ethnische Minderheit des Inselstaates bilden. „Meine Eltern waren immer anders und werden es wahrscheinlich auch immer sein. Ich habe mich schon immer gefragt, warum wir in Deutschland leben, und bin dieser Frage auf den Grund gegangen.“

Die Interviews innerhalb der Familie und die Befragung von Experten aus dem Ökohaus Rostock e.V. helfen Jemima, das Anders-Sein zu begreifen und wertzuschätzen.

Hannah, Jonas, Hannes, Hannah und Malvin waren den Ursachen der Feindlichkeit gegenüber Flüchtlingen auf der Spur, die 1990 in Rostock-Lichtenhagen zu Brandstiftung und versuchtem Totschlag führten. Eine große Forschergruppe, die ganz toll zusammenarbeitete, Interviews führte mit Zeitzeugen und Experten und dabei auch der psychologischen Dimension der Angst vor dem Fremden / Neuen, die in uns allen schlummert, nachspürte.

Lea und Maike waren ganz im Banne der Hexen. Sie wollten wissen, wie Menschen zu Hexen & Hexern werden, wie sie von anderen Menschen misstrauisch beäugt, wie über sie Gerüchte in die Welt gesetzt, wie sie angezeigt und unter Folter verhört und schließlich zu Hexen werden … Dafür versuchten sie im Archiv der Rostocker Uni alte Hexen-Gerichtsakten aus dem 17. und 18. Jahrhundert zu entziffern. Beim Anblick und bei der Berührung mit diesen Schriften lief ihnen ein kalter Schauer über den Rücken, denn sie spürten den Hauch der Geschichte plötzlich ganz nah …

Barbro und Marie betätigten sich kriminalistisch. Sie versuchten, die Lebensgeschichte des kleinen Harry Schlomanns aufzuklären. Der jüdische Junge war noch nicht einmal 7 Jahre alt, als er in Auschwitz ermordet wurde. Wir haben für ihn in der Kröpi 96 einen Stolperstein gestiftet – an dem Ort, wo er zuletzt mit seinen Großeltern lebte. Leider gibt es kaum Hinweise auf seinen Vater und seine Mutter. Aber die beiden haben die Spur aufgenommen, viele Vorfahren „entdeckt“ und einen Stammbaum erstellt. Und stellt euch vor: Der Name des Vaters, Norbert Schlomann, tauchte in einem Telefonbuch von Tel Aviv im Jahre 1965 auf! Er hatte also die Flucht nach Palästina geschafft! Barbro forscht noch immer weiter. Viel Glück!

Die Redaktion SCORPION 

Fotos: David Ausserhofer/Körber-Stiftung

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Jemima, Herr Strempel, Linn und Frau Behrens mit Joachim Gauck zur Bundespreisverleihung im Schloss Bellevue

 

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Alle Teilnehmer und die Tutoren beim Gruppenfoto

 

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Moderatorin Kate Maleike während der Bundespreisverleihung im Gespräch mit einigen Tutor*innen des landesbesten Schulen (rechts: Herr Strempel)